Präses Anna-Nicole Heinrich „Man kann nicht in der AfD und der Kirche beheimatet sein“
Interview | Düsseldorf · Auf der Großkundgebung am Samstag in Essen wird auch Anna-Nicole Heinrich als Vorsitzende der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland sprechen. Eine ihrer Botschaften ist, mit Menschen im Gespräch zu bleiben, die die AfD wählen. Wie das gelingen kann.
27.06.2024, 10:51 Uhr
Frau Heinrich, Sie reisen am Wochenende zum Protest gegen den AfD-Parteitag nach Essen – was hat sie dazu bewogen?
Heinrich Dass ich mir das Wochenende freischaufele, um ins Ruhrgebiet zu kommen, war gar keine Frage. Der Kirchenkreis Essen hat mich gefragt, für den es wie für mich selbstverständlich ist, dass Kirche dort präsent ist und sich für Demokratie, Vielfalt und Toleranz einsetzt und Rassismus, Menschenfeindlichkeit und Populismus etwas entgegensetzt. Ich glaube, da hilft es auch, wenn sichtbar wird, dass Kirche eben nicht heißt, dass da ein älterer Herr im Ornat erzählt, was die Menschen wählen oder wie sie sich verhalten sollen. Ich bin an der Lebensrealität der Jüngeren nah dran und weiß, welche großen Herausforderungen dort gerade besonders stark gesehen werden. Und vielleicht lässt sich so die Botschaft besser vermitteln, dass wir zwar gerade in schwierigen Zeiten leben – die platten Versprechen der Populisten aber eben keine Lösungen sind.
Welche Botschaft bringen Sie mit?
Heinrich Es ist ja nicht nur die Demonstration mit Großkundgebung, wo ich eine Ansprache halte. Es ist ein Demokratiefest, das auf dem Messeparkplatz unter anderem mit dem Markt der Möglichkeiten stattfindet, wo auch viele diakonische und kirchliche Einrichtungen mit Ständen vertreten sind. Darauf freue ich mich, weil das gesamte Programm zeigen wird: Wir sind mehr, und wir sind die, die unsere Gesellschaft zusammenhalten und nicht spalten wollen. Das ist die Botschaft des Wochenendes und die will ich auch mit meinem Beitrag unterstützen. Die Menschen sollen das gute Gefühl wie einen Booster über die Veranstaltung hinaus mitnehmen, zusammen etwas erreichen zu können.
Was tun, um zu vermeiden, dass die Aktion – so wie einige wenige Großdemos nach den Geheimtreffen-Recherchen zu Jahresbeginn – als One-Hit-Wonder verpufft?
Heinrich Zum einen sollen die zahlreichen Stände der diversen Initiativen ganz konkrete Möglichkeiten zeigen, sich auch längerfristig für die Demokratie einzubringen. Zum anderen müssen wir die Sorge um die Demokratie in unsere Familien und Freundeskreise tragen, auch und gerade da, wo es schwerfällt und anstrengend ist, im Gespräch zu bleiben. Wichtig dabei ist, auf individuelle Situationen einzugehen und dem Onkel, der Nachbarin, den Bekannten sagen: Ich sehe dich, ich sehe deine Sorgen und Nöte; ich will verstehen, wo es dich betrifft. Dann muss man gemeinsam schauen und sachlich überlegen: Wer hat Lösungen für dein Problem, die auch wirklich welche sind und nicht nur verlockend einfach klingen? Die Landtagswahlen werden nicht mit Parolen in der Tagesschau entschieden, sondern in den Familien, in den Freundeskreisen, eben da wo Menschen sich trauen, zu reden, ohne anderen die Klugheit abzusprechen.
Und wie umgehen mit Menschen in einer Gemeinde, die die AfD wählen oder mit ihr liebäugeln?
Heinrich Da muss man unterscheiden zwischen Menschen in einer Gemeinde, die sich von der AfD angesprochen fühlen und sie wählen – und Amtsträgern, die sich bewusst und offiziell für die Partei einsetzen. In der Gemeinde gilt: Egal was Menschen wählen, im Gottesdienst sind sie alle willkommen. Wir dürfen nicht aufhören, miteinander zu sprechen. Das ist wichtiger denn je, deshalb sind wir als Kirche zusammen mit der Diakonie gerade dabei, genau dafür Gesprächsformate unter dem Titel #Verständigungsorte zu schaffen. Da muss jeder seine Positionen einbringen dürfen, aber klar ist auch, dass menschenfeindlichen Positionen widersprochen wird. Da geht es nicht darum, andere anzuprangern oder als blöd darzustellen – sondern zu fragen: Woher kommen denn diese Ängste und Sorgen?
Lässt sich ein Kirchenamt mit einem AfD-Engagement vereinbaren?
Heinrich Völkische, nationale Gesinnungen und menschenverachtenden Haltungen sind mit Grundsätzen des christlichen Glaubens nicht vereinbar, das kann man nicht oft genug wiederholen. Ich sage: Sie schlagen Gott ins Gesicht. Und wenn man das Evangelium ernstnimmt, dann darf man diesen hasserfüllten Stimmen keinen Raum geben – nicht in unserer Demokratie und auch nicht in unserer christlichen Kirche.
Was heißt das konkret? AfD-Funktionäre raus aus der Kirche?
Heinrich Ich habe absolut kein Verständnis dafür, wie man gleichzeitig in der Kirche und in der AfD beheimatet und aktiv sein kann – einer Partei, die Menschengruppen nach rassistischem Muster ausgrenzt. Das ist ein radikaler innerlicher Überzeugungskonflikt, den man auch so benennen muss. Wie man mit Amtsinhaber*innen, die diesen Widerspruch für sich offenbar nicht sehen, kirchenrechtlich verfährt, ist eine andere Frage, der gerade nachgegangen wird.
In Essen wird es wie in Düsseldorf und Hamburg Massen auf die Straße ziehen. Immer wieder gibt es Stimmen, die kritisieren: Sollen sie doch mal in den Osten demonstrieren kommen.
Heinrich Ich nehme Einladungen zu kleinen Demonstrationen in ostdeutschen Orten genauso an wie die aus Essen. Meine Familie lebt in Thüringen, ich bekomme den Wechsel in der Diskurskultur sehr nah mit und denke, wir müssen gerade dort Menschen zuhören und mitnehmen. Meine diesjährige Präses-Sommertour wird auch deshalb durch Sachsen, Thüringen und Brandenburg gehen. Ziel ist es, kleine Initiativen und Personen vorzustellen und zu unterstützen, die sich für ihre Heimat einsetzen – gegen alle Widerstände der AfD.
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